Es ist menschlich und wünschenswert, anderen in Momenten der Not zu helfen, doch dürfen wir dabei nicht vergessen, dass man Menschen nicht gegen ihren Willen ändern kann
![](https://static.wixstatic.com/media/11062b_81c1246e85784c3f9ed556ad2c9f353f~mv2.jpg/v1/fill/w_980,h_653,al_c,q_85,usm_0.66_1.00_0.01,enc_auto/11062b_81c1246e85784c3f9ed556ad2c9f353f~mv2.jpg)
Vor einiger Zeit stieß ich auf Instagram auf einen Beitrag, bei welchem es hieß: "Die meisten Menschen ziehen eine bekannte Hölle einem unbekannten Himmel vor." Die Bedeutung dieser Aussage leuchtete mir nicht sofort ein, aber als ich sie schließlich verstand, stimmte ich voller Überzeugung zu. Wir Menschen suchen und finden Sicherheit in Gewohnheiten. Meistens ist diese Eigenschaft nachvollziehbar. Was für ein Chaos wäre es, wenn wir unser Leben immer wieder neu gestalten müssten? Daher vertrauen wir auf das, was uns bekannt ist und gehen klammheimlich davon aus, dass unsere Gewohnheiten und Entscheidungen gut für uns wären. Leider ist uns dabei oft nicht bewusst, dass wir in unserer Vergangenheit oft von toxischen Einflüssen geprägt wurden, welche dazu führen, dass wir eventuelles Leid nicht in Frage stellen, sondern als normal und gerechtfertigt wahrnehmen.
Wenn wir einer Person begegnen, welche mit Problemen zu kämpfen hat, welche wir aus Unwissenheit nicht nachvollziehen können, dann ist es einfach für uns zu urteilen: "Warum tust du dir das an?" Wir können versuchen, Verständnis aufzubringen, aber wir werden nie wissen, wie es sich anfühlt, in einer anderen Haut zu stecken und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Dabei kann es zu frustrierenden Erfahrungen kommen, wenn andere unsere Hilfsangebote nicht annehmen und stattdessen mit ihrem selbstzerstörerischen Verhalten fortfahren. Es gehört zu den wichtigen Lektionen für hilfsbereite Menschen, dass andere nicht gegen ihren Willen von außen geändert werden können. Genauso wenig kann man einem Menschen gegen seinen Willen helfen. Gerade im Bereich der sozialen Arbeit ist diese Einsicht elementar.
Es schmerzt, einer Person dabei zuzusehen, wie sie ihr eigenes Leben ruiniert, aber dennoch ist es ihre Entscheidung. Es wäre anmaßend darüber entscheiden zu wollen, wie andere ihr Leben gestalten sollten. Freiheit beinhaltet auch die Möglichkeit der Selbstzerstörung, so brutal diese Aussage auch klingen mag. Das Leben ist einzigartig und sollte geschätzt werden, aber genauso glaube ich auch daran, dass Menschen selbst darüber entscheiden können sollten, wann und wie es enden soll.
Das bedeutet natürlich nicht, dass ich mutwillig einen Selbstmord unterstützen würde. Ich würde versuchen, die Schönheit und Einzigartigkeit des Lebens zu betonen und die Alternativlosigkeit der Entscheidung hinterfragen. Wenn jemand dennoch davon überzeugt sein sollte, sein Leben selbst zu beenden, da es keinen Sinn mehr ergäbe, dann liegt es nicht an mir, meinen Willen aufzuzwingen. Ich kann nicht über das Leben anderer Menschen entscheiden. Nur sie selbst können es.
Mitzubekommen, wie eine Person, die uns nahe steht, an Süchten zu Grunde zu gehen droht ist schmerzhaft. Zu intervenieren kann jedoch das Gegenteil des erhofften Effekts bewirken. Zum einen mangelt es süchtigen Personen oft an der nötigen Einsicht. Sie auf ihr Problem anzusprechen führt wahrscheinlich zu Abwehrreaktionen und steigender Distanz. Sie könnten sich angegriffen und als süchtig stigmatisiert fühlen. Sie wollen nicht hilfsbedürftig wirken und schon gar nicht so angesprochen werden.
Zum anderen könnten Hilfsbemühungen das Problem verschlimmern. Die vermeintlich helfende Person könnte durch die Exposition ebenfalls in Abhängigkeit geraten und die toxischen Verhaltensweisen übernehmen, emotional und finanziell leiden. Darüber hinaus kann das Problem von Hilfe darin bestehen, dass sie das Leiden verlängert. Wenn eine süchtige Person dadurch nämlich das Gefühl bekommt, immer weitermachen zu können, ohne das eigenen Verhalten ändern zu müssen, dann wird eine Sucht durch Hilfe gefördert, nicht abgemildert. Erst wenn der individuelle Leidensdruck zu groß wird akzeptiert ein betroffener Mensch, dass Änderungen notwendig sind. Dieses Dilemma ist als Kodependenz bekannt: die Hilfsbemühungen des Einen verlängern das Leiden des Anderen.
Zugegeben, ich selbst habe mich bei diesem Thema bereits der Heuchelei schuldig gemacht, da es naturgemäß ein Unterschied ist, ob man im beruflichen oder im privaten Umfeld damit zu tun hat. Letzteres kann uns nicht kalt lassen, wenn uns die Person wichtig ist. Das Bedürfnis danach, Hilfe anzubieten, um einen weiteren Abstieg aufzuhalten, kann unser Urteilsvermögen vernebeln. Frustration und Verzweiflung können die Folge sein, wenn wir uns ob unserer gescheiterten Hilfsversuche als Versager fühlen. Es ist genauso schwer zu akzeptieren wie notwendig, dass wir erkennen müssen, wann es Zeit ist, einen Menschen sich selbst zu überlassen, um nicht zu riskieren, in eine Abwärtsspirale hineingezogen zu werden. Ich selbst musste diese schmerzhafte Lektion erfahren, und noch immer glimmt die Asche der Enttäuschung in mir.
Es klingt hart, aber es entspricht der Realität: Menschen bestreiten den Weg des Verfalls durch ihre eigenen Entscheidungen meist selbst. Auch wenn eine Sucht per Definition unserer eigenen Kontrolle entgleitet, so ist es doch unsere freie Entscheidung, ob wir uns Hilfe suchen oder nicht. Eine Erkrankung anzuerkennen, Hilfe anzunehmen und die Kontrolle zurückzugewinnen sind elementare Schritte, welche allerdings von der betroffenen Person selbst ausgehen müssen. Ohne diese Einsicht kann es keine nachhaltigen Interventionen und Hilfen geben.
Das bedeutet natürlich nicht, dass wir betroffene Personen aufgeben sollten. Wenn auch nicht kurzfristig, so kann es langfristig einen großen Unterschied machen, ob unsere Bekannten wissen, dass sie uns wichtig sind und dass wir sie unterstützen würden, sollten sie es wünschen. Hilfe zu suchen und anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein mutiger Schritt und die Anerkennung der eigenen Verletzlichkeit. Es ist der erste und vielleicht wichtigste Schritt auf dem Weg zur Genesung, welcher letztendlich Leben retten kann.
![](https://static.wixstatic.com/media/f96360_eac6aa9052e54e0b95abb219cb9d2575~mv2.jpg/v1/fill/w_980,h_980,al_c,q_85,usm_0.66_1.00_0.01,enc_auto/f96360_eac6aa9052e54e0b95abb219cb9d2575~mv2.jpg)
Comments