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Die Person im Spiegel lieben lernen

Autorenbild: Stephan Rinke-MokayStephan Rinke-Mokay

Aktualisiert: 17. Sept. 2024



Im Moment habe ich einen Nebenjob als Deutschlehrer an einer Sprachschule in Dubai. Vor ein paar Tagen schloss ich meinen ersten Kurs ab, und wie für diesen üblich kam nur eine Schülerin, obwohl insgesamt drei angemeldet waren.


Da weniger als die sonst üblichen drei Stunden noch übrig waren, beendeten wir den Kurs eher als sonst. Doch zu meiner Überraschung machte die Schülerin keine Anstalten, nach Hause zu gehen. So begannen wir also ein Gespräch, welches im Endeffekt eine Stunde dauerte, bis ihr Vater sie abholte - über das Leben, Ziele, Sinn, Philosophie...


Umso länger wir sprachen, umso mehr beeindruckte sie mich. Mit ihren 16 Jahren hatte sie einen bemerkenswerten Sinn für Neugier und Wissen, so schüchtern sie auch erschien. Ich lobte sie dafür und lies mich auf einen aufrichtigen Austausch ein. Während wir sprachen kam in mir ein Gedanke auf, welcher sich immer mehr in den Vordergrund meines Bewusstseins drängte: Warum war ich so überrascht?


Anschließend schämte ich mich dafür fast ein wenig. Ich sah dieses schüchterne Mädchen vor mir sitzen, eine fleißige und aufrichtige Schülerin, und verschwendete keinen Gedanken daran, was hinter der Fassade geschah. Natürlich war es eigentlich nur meine Aufgabe, ihr Deutsch beizubringen, aber wäre es nicht wünschenswert, wenn wir alle etwas mehr als nur das Nötigste tun würden?


Egal, wie sehr wir uns anstrengen - wir alle werden durch Vorurteile beeinflusst. Das Beste, was wir vielleicht tun können ist, unseren Makeln in die Augen zu sehen, zu reflektieren, und danach zu streben, uns weiterzuentwickeln. Schließlich wissen wir alle, wie frustrierend es ist, vorschnell beurteilt zu werden. Zum Beispiel habe ich bei den gegenwärtigen Einstellungskriterien zumindest hier in Dubai das Gefühl, dass der Fokus nicht darauf liegt, was man kann oder gelernt hat, sondern darauf, wie treffend man bestimmte Schlüsselwörter in seinen Lebenslauf einbauen kann. Wir wissen Menschen nicht zu schätzen, welche einzigartig und anders sind, sondern suchen nach denen, die dem Gewöhnlichen entsprechen. Ich kann mir daher vorstellen, dass sehr vielen talentierten Menschen nicht die optimalen Chancen gegeben werden. Wenigsten war ich mir bei der Schülerin schnell darüber bewusst, dass sich ein ernsthaftes Gespräch mit ihr lohnt und zeigte daher aufrichtiges Interesse. Sie war introvertiert und konnte kaum einen Blick halten. Einen komplexen Gedanken hingegen schon.  


Ich sagte ihr nicht, dass ich stolz auf sie sei, da das vielleicht unangemessen gewesen wäre, aber ich lobte sie dafür, sich eigene, unabhängige Gedanken zu machen. Damit sei sie auf einem guten Weg, die Person in ihrem Leben, die am wichtigsten sei, zufriedenzustellen - und zwar jene, welche sie jeden Tag im Spiegel sieht. So einfach dies auch klingen mag, es ist eine Eigenschaft, mit der viele Menschen zu kämpfen haben - und welche sie oft davon abhält, Erfüllung zu finden.


Haltet eure Augen und Herzen offen für das, was zählt. Gebt anderen die Chancen, die sie verdienen. Und am wichtigsten: Schließt Frieden mit der Person, die ihr im Spiegel seht - und vergesst nicht, sie zu lieben.

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